ARMAGEDDON
Devid Kesler
Wolfius ging weg, und Lydia bedauerte sofort ihm nicht gesagt zu haben,
dass er so oft zu ihr kommen könne wie er wolle, sogar
ohne Geld zu bezahlen. Sie kannte verschiedene Männer,
aber einen solchen wie diesen Germanen hatte sie zuvor niemals
getroffen. Sie erinnerte sich an seine hellen glatten Haare,
seine blauen Augen, den Mund mit den schmalen Lippen. Als er
zu ihr kam, besah sie ihn mit professionellem Blick und entschied
sich, er bliebe bei ihr nicht lange. Aber sie irrte sich. Er
war ihren üblichen Gästen, römischen Legionären,
nicht ähnlich. Diese waren, wenn auch leidenschaftlich,
innerlich leer und brachten ihr keine Befriedigung. Obwohl der
Germane seine Sache recht gut machte, schien es ihr, als wäre
er nicht so richtig dabei. Doch gerade das fand Lydia sehr anziehend,
sie zuckte zusammen und wand sich bei jeder Berührung,
jeder Liebkosung. Wolfius erzählte ihr sogar, dass er früher
Sklave war, und sein Patrizier ihn, wegen seiner guten Arbeit,
freigelassen hatte. Lydia fühlte, dass sie ihm auch gut
gefiel, aber jetzt, da Wolfius wegging, war es ihr völlig
unklar, ob er wieder zu ihr kommen würde. Lydia kam ins
kalte Colonia, mit einer Truppe römischer Legionäre,
die für den Schutz des römischen Imperiums gegen die
Einfälle der Barbaren geschickt worden waren. Warum sie
das warme heimatliche Rom verließ, das wusste sie selbst
auch nicht. Ihre Kameradinnen sagten ihr, dass es gefährlich
sein würde, dass die Barbaren plötzlich angreifen
und alle töteten. Aber sie hörte ihnen nicht zu, packte
auf einmal ihre Sachen und mit einer Truppe, deren Kommandeur
ihr ständiger Gast war, machte sie sich auf den Weg ans
Ende der Welt. Sie war möglicherweise von Langeweile geplagt,
hatte den Wunsch ein anderes fernes unbekanntes Land zu sehen,
etwas anderes als Rom, das ihr übel geworden, fern von
sinnlichen Römern, die von ihr immer neues und ungewöhnliches
in der Liebe verlangten. Sie war aber eine einfache Frau und
hatte keine Phantasie noch etwas originelles zu erfinden. Die
Gäste drohten an, zu ihr nicht wiederzukommen, und so würde
sie verhungern. Lydia bat ihre Kameradinnen um Rat, aber diese
waren auch nicht mehr jung und hatten ähnliche Probleme.
Doch die Gäste wollten Mädchen, zehn- bis zwölfjährige.
Lydia hatte auch mit zehn Jahren angefangen. Damals war ihr
das völlig neu, sie war bildhübsch und neugierig,
und es gab Interessenten wie Sand am Meer, mit ihr das Bett
zu teilen. Mit der Zeit aber verwandelte sich die Lust in Routine
und brachte ihr nichts außer Geld. Einer der Gäste
wollte sie einmal heiraten, aber dann änderte er seine
Meinung. So blieb sie einsam, verdiente Geld fürs Leben,
wie andere es verdienten, als Maurer, Bauer, Verkäufer
arbeitend. Lydia würde gerne heiraten, aber wen? Wolfius?
Er ging doch weg und vielleicht für immer. Sie war traurig
geworden und schüttete sich einen Schluck Wein ein. Sie
trank immer Wein, der aus der Umgebung Roms stammte. Ihr gefielen
die italienische Weine. Französische und spanische Weine
trank sie nicht besonders gerne. Nach dem Weggang von Mohammed
fühlte sich Karin völlig erniedrigt, sie musste sich
volllaufen lassen. Sie trank eine Flasche Wein auf, dann noch
eine, wurde besoffen und schlief ein. Als sie wieder aufwachte,
verbesserte sich ihre Laune nicht. Dazu bekam sie Kopfschmerzen.
Sie erinnerte sich ganz deutlich an Mohammeds Besuch. Sofort
war ihr klar, dass er nach fraulichem Körper ausgehungert
gewesen war. Tatsächlich war er fast zwei Stunden rastlos
gewesen. Während kurzer Pausen schaffte er es nur ihr zu
erzählen, wie er heisse und dass er aus Ägypten komme.
Sie hatte ihn gerne, obwohl er von ihr das forderte, was sie
anderen verweigerte zu machen. Er benahm sich als Herr, der
das Befehlen gewohnt war. Endlich stand er auf, fiel auf den
Teppich neben dem Bett und begann rasch zu beten. Karin betrachtete
ihn überrascht und wusste nicht, was sie selbst machen
sollte. Dann stand er vom Boden auf, guckte Karin so missachtend
und zögernd an, dass sie von Angst bebte, schlug sie mit
ganzer Kraft und ging weg ohne sich umzudrehen. "Ja, solches
ist mit mir noch nie passiert," dachte Karin. Sie wohnte
in einem Stadtteil von Köln, wo viele Ausländer wohnten,
die für ein besseres Leben oder aus Angst vor dem Tod nach
Deutschland, in ihre neue Heimat, kamen. Karin besuchten nicht
nur die Deutschen sondern auch verschiedene Ausländer:
Türken, Jugoslawen, Afrikaner. Karin war schön, weder
dick noch zu schlank, hatte große blaue Augen, helle Haare,
schöne Brüste, gefiel den Männern und verdiente
gutes Geld. Trotz der schlechten Laune nach Mohammeds Besuch,
verliess sie die Wohnung. Auf der Straße traf sie ihre
Freundin Erika. Diese war eine anständige Frau und hatte
Karin gern, obgleich sie Karins Metier kannte. Karin war so
erregt, dass sie das Bedürfnis spürte, ihrer besten
Freundin über den Besuch zu berichten, um ihr Herz zu erleichtern.
"Du hast ihm erlaubt, dich zu schlagen? Ich hätte
ihn getötet, wenigstens mit einem Küchenmesser! Hast
du eins?" "Ja, ich habe eins, habe ich..." antwortete
Karin lächelnd und plötzlich begann sie zu schluchzen.
Sie schluchzte so hoffnungslos, wie sonst nur kleine Kinder
weinen. Ein römischer Legionär, der vorbeiging, fragte,
ob er ihr behilflich sein könne. Lydia antwortete, alles
sei in Ordnung, sie wisse nicht, warum sie weinte. Alsdann sah
sie Wolfius, der ihr entgegen ging. "Wo warst du? Warum
kommst du nicht mehr zu mir?" fragte sie ihn wieder und
wieder. Sie nahm ihn an die Hand und führte ihn zu sich.
So blieb Wolfius bei Lydia und sie wurden glücklich. Lydia
dachte nicht, dass das Leben mit dem Geliebten so schön
sein könnte und lehnte sofort Besuche ihrer Gäste
ab. Sie wartete auf Wolfius, als er nach der Arbeit nach Hause
kam. Dieser kam müde. Lydia tat alles, um sein Leben schöner
zu machen: kochte seine Lieblingsgerichte, erzählte Geschichten
über Helden und Götter, sang und tanzte für ihn.
Wolfius aber schlief sofort ein, sitzend. Er sagte ihr immer
und immer wieder, dass er das römische Leben, die römischen
Tänze und Lieder hasse, weil sie ihm fremd seien, dass
die Römer Tyrannen seien, und er mit seinen Kameraden gegen
die Römer kämpfen wolle; damit mit der Sklaverei Schluss
machen. Das machte sie traurig und sie hoffte, es würde
sich mit der Zeit alles verändern. Einmal kam Wolfius schwermütig
von der Arbeit. "Du musst Geld verdienen. Ich kann nicht
alleine für den Lebensunterhalt sorgen," sagte er.
"Ich hab' doch keinen Beruf," erwiderte sie. Er antwortete:
"Du hast schon gearbeitet. Ich komme spätabends nach
Hause, du hast den ganzen Tag frei. Mach das, was du früher
gemacht hast." Von diesem Moment an begriff Lydia, dass
ihr Glück schon zu Ende ging. Alles was Wolfius machte,
reizte sie: Er interessierte sich nicht für ihr Leben;
sein vulgäres Latein, sie verstand ihn schlecht; wie er
aß, er zerriß Stücke Fleisch mit seinen starken
dicken Fingern; sein Schwermut, er war immer müde. Wolfius
spürte es auch, etwas in ihrer Beziehung veränderte
sich, wollte mit ihr darüber sprechen, sie aber kam ab
davon. Wolfius nahm seine Sachen mit und verliess sie. Lydia
sagte ihm nichts, wollte ihn nicht aufhalten, fühlte Erleichterung
sogar. Sie ging hinaus, Gäste zu suchen. Aber die Strassen
waren ganz leer. Sogar an Kölner Dom und am Hauptbahnhof
gab es fast keine Menschen. Karin wurde klar, in dieser Zeit,
wenn die Leute Angst vor Terrorissmus hatten, verliess nie einer
in dunklen Zeiten die Wohnung ohne Notwendigkeit. Sie kam nach
Hause und bekam einen Telefonanruf. Ein Mann sagte in gebrochenem
Deutsch, dass er bei ihr vorbeikommen möchte. Für
alle Fälle legte sie ein Fleischmesser neben das Bett.
Es kam einer in mittlerem Alter. An der Schwelle sagte ihm Karin,
wenn er sie zu schlagen versuchte, tötete sie ihn mit dem
Messer. Dieser lächelte sie an: "Hab keine Angst.
Ich bin zu dir nicht dafür gekommen." Er war nicht
rauh, er war fast zärtlich, wenn man zwei Küsse am
Hals für Zärtlichkeit hielt. Nach einiger Zeit kam
noch ein Araber, dann noch einer und noch einer. Einige kamen
ein-, zweimal pro Monat. Sie waren einander wie Zwillinge ähnlich:
ähnlich blinzelnde strahlende Augen, Rastlosigkeit in der
Liebe, betend vor dem Abschied. Dreister geworden, fragte sie
einen von Ihnen, wo er ihre Adresse bekommen hatte, denn zu
ihr kamen einige seiner Landsleute. Verwirrt antwortete dieser:
"Einmal gingen wir an deinem Haus vorbei, einer von uns
blickte an dein Fenster, so aufmerksam, dass ich alles verstand.
Sprich aber über mich zu niemandem. Bei Moslimen ist es
eine große Sünde, Prostituierte zu besuchen. Nachdem
ich bei dir war, gehe ich in die Moschee und beichte meine Sünde.
Hier in Deutschland gibt's Probleme mit Frauen, bei uns ist
es viel einfacher. Deshalb komme ich zu dir". Einmal auf
der Straße traf Karin Erika, und diese lud sie ins Café
ein." Ich kann leider nicht, beeile mich zu einem Meeting
mit "den Rosas", erwiderte Karin. "Mit Rosas?
Bist du verrückt geworden? Das habe ich von dir nicht erwartet,"
sagte Erika. "Das ist eine Partei, "Die Rosas";
bestimmt kennst du sie." "Ah, ich habe doch gedacht..."
Erika lächelte Karin an. "Ich ging an einem Platz
vorbei," setzte Karin fort, "und sah Menschen unter
rosa Fahnen. Einer von ihnen, auf einem Podest, erklärte,
dass unsere Gesellschaft in Laster versinkt und in Krieg verfallen
muß, wie es das Römische Imperium verfiel, mit den
Barbaren. Er sagte auch, das der Islam die einzige richtig fromme
Religion sei. Sicher ist es Quatsch. Neulich habe ich mit einer
aus Marokko gesprochen, auch eine Prostituierte. Sie hat mir
im geheimen mitgeteilt, dass es in moslemischen Ländern
auch Prostituierte, Schwule, Rauschgiftsüchtige gibt. Haschisch
kam doch zu uns nicht aus Amerika. Aber diese Spielchen sind
verboten, und die Bevölkerung gibt sich den Anschein, als
ob das nie existiert habe. Trotzdem gefällt mir diese Partei,
"Die Rosas". Sie sind Pazifisten und gegen jeden Krieg.
Ich hab' in unserer Gewerkschaft der Prostituierten darüber
erzählt, da waren alle begeistert und beschlossen: "Kein
Krieg mit den Moslimen, sie sind unsere treuesten Gäste,
dank ihnen verdienen wir jetzt gutes Geld. Das ist die Hauptsache,
mit Ideologie haben wir nichts zu tun." Und zum Schluß
kann ich dir sagen: "Klatsch über Terroristen ist
nicht mehr als kalter Kaffee. Hier in Deutschland können
wir ruhig schlafen". Obwohl Karin dem Schicksal dankbar
war, dass es ihr die Moslimen geschenkt hatte, bohrte in ihr
der Gedanke, sie befriedige sie nicht ganz, sie erwarteten von
ihr noch etwas. Plötzlich schoß ihr eine Idee durch
den Kopf. Als einer zu ihr kam, starrte sie ihn an und dachte:
"Jetzt bekommst du alles, was du willst". Sie wartete,
als seine Leidenschaft zur Reduzierung kam, sprang sie aus dem
Bett und lief ins Badezimmer. Sie kam heraus, als Mullah verkleidet,
mit einer Peitsche, die aus mehreren Gebetsketten, in einem
arabischen Geschäft gekauft, gemacht war. Karin schlug
den Gast mit der Peitsche, suchte die empfindlichen Körperteile
aus: Den Bauch, die Fußsolen, den Penis. Der Gast verteidigte
sich nicht, in seinem Blick sah Karin sogar Dankbarkeit. An
den Haaren zog sie ihn aus dem Bett und stieß ihn auf
den Teppich, ihn weiter auf den Rücken schlagend. Gleichzeitig
ertönte, laut wie der Donner, des Mullahs Gebet, das sie
vorher auf dem Recorder aufgenommen hatte. Plötzlich bekam
Karin Angst. Der Gast sagte ihr aber: "Jetzt kann ich in
Ruhe gehen. Du hast mich für meine Sünden bestraft.
Ich kann mich nicht ändern, es ist kein Leben ohne Frauen.
Ich bin dir sehr dankbar". Karin hatte einige Tage Angst
die Wohnung zu verlassen: Sie fürchtete, dass die Araber
sie töten würden, aber ihr passierte nichts und sie
beruhigte sich. In dieser unruhigen Zeit hatte sie fast keine
Besucher. Die Deutschen kamen sehr selten, am häufigsten
kamen Ausländer zu ihr - diesen war alles völlig egal.
Plötzlich trat Mohammed ein. Sie erkannte ihn sofort, obgleich
sie ihn nur einmal gesehen hatte und das schon lange her war.
Er starte sie mit blitzenden Augen an und warf sie wortlos aufs
Bett, fast ohne sich auszuziehen. In seiner Liebe war etwas
hoffnungsloses, so wie das Rauchen der Soldaten vor der entscheidenden
Schlacht oder der zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung.
Karin begriff, nein, fühlte mit ihrem fraulichen Spürsinn,
mit ihm würde etwas schreckliches passieren, aber was,
das konnte sie sich selbst gar nicht vorstellen. Er stieg aus
dem Bett und sagte: "Denk nicht schlecht über mich.
Ich habe dich sehr gerne. Ich erinnere mich oft an dich, ich
sehe dich in meinen Träumen. Ich würde mit dir für
immer bleiben, wenn ich nicht sterben müsste. Ich werde
für unsere Religion mein Leben opfern, um eine neue, richtige
Weltordnung zu errichten. Und jetzt muss ich gehen. Du wirst
mich nie wieder sehen." Er ging weg. Karin legte sich wieder
ins Bett, sie spürte Einsamkeit, sie war traurig und ohne
Hoffnung. Sie dachte nicht, dass Mohammeds Weggang so schrecklich
auf sie wirken würde. Sie machte die Augen zu, wollte weinen
und konnte es doch nicht. Lydia hatte nicht viele Gäste
und so blieb ihr zu viel Zeit für Schwermut, viel zu viel
Zeit. Römische Legionäre, die ohnehin selten zu ihr
kamen, sprachen mehr von den Barbaren, als dass sie mit ihr
schliefen. Einer von ihnen, der schon nicht mehr jung war, sprach
nur darüber, dass die Barbaren alle Römern töten
würden, man müsse so schnell wie möglich fliehen.
Er betete wahllos alle Götter um Hilfe an, damit sie ihn
retteten. "Ich bleibe hier", sagte ihm Lydia. "Wenn
sie kommen, werden meine barbarischen Kunden mich verteidigen".
Sie war im Bett und betrachtete schwermütig die Decke,
als die Barbaren in ihre Wohnung eindrangen. Sie guckte sie
gleichgültig und wortlos an, sah in ihre, mit hellen Bärten
bedeckten, rauhen Gesichter. Die Barbaren schleppten sie aus
dem Bett. Einer von ihnen, ein großer und kräftiger
Mann, nahm eine schwere keramische Vase, auf die laufende Athleten
gemalt waren, und schlug sie damit auf den Kopf. Lydia spürte
keine Schmerzen, nur ein furchtbares Dröhnen. Es war so
laut, dass Karin dachte, die Stadt sinke in die Erde. Sie lief
auf die Fenster zu. Über der Stadt stieg eine graugelbe
Wolke auf. "Sie sprengten den Kölner Dom in die Luft!"
schrie Erika vor der Tür. "Den Kölner Dom...."
wiederholte Karin lautlos. Sie war nicht religiös, aber
zwei Mal pro Jahr, zu Weihnachten und zu Ostern, ging sie in
den Dom, um zu beten. Nach dem Gebet schien ihr Leben nicht
so sündig zu sein. "Komm mit. Nur der Weg nach Norden
ist frei geblieben", sagte Erika weiter. "Nein, ich
bleibe hier. Sie werden mir nichts tun," erwiderte Karin.
Die Tür sprang auf, von einem kräftigen Fußstoß
herausgetreten. In der Wohnung fielen etwa zehn Männer
ein. Sie stürzten sich auf Karin, beklebten sie wie Ameisen
ihre Beute, rissen an ihren Armen, Brüsten, Füßen,
nahmen sie von vorne und von hinten, ihr Körper wurde klebrig
vom Sperma. Sie erstickte, ihr war schwindelig, vor den Augen
war es schwarz. Sie begriff, das sie sterben würde. In
diesem Moment sah sie sich im ur-römischen Colonia. Und
sie sah die schwere keramische Vase, mit den laufenden Athleten
darauf, die auf ihren Kopf sank.
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